Aktuell in der GmbHR

Schuld- und organisationsrechtliche Sanktion mangelhafter Beschlüsse: Gegen- oder Miteinander? (Bayer/Rauch, GmbHR 2023, 261)

Beschlussmängel führen nicht nur zur Anfechtbarkeit bzw. Nichtigkeit, sondern können auch Schadensersatzansprüche begründen. Wie sich diese zu den Grundsätzen des Beschlussmängelrechts verhalten, ist bislang oft nur am Rande diskutiert worden. Eine aktuelle BGH-Entscheidung gibt Anlass, sich näher mit der Problematik auseinanderzusetzen. (gleichzeitig Besprechung und erste Gedanken zu BGH v. 6.12.2022 – II ZR 187/21, GmbHR 2023, 275)

I. Die Problematik
II. Diskussionsstand
1. Schrifttum
2. Rechtsprechung
III. Das Urteil BGH II ZR 187/21
1. Sachverhalt
2. Problem und Lösung
a) Organisationsrecht vs. Schuldrecht
b) Die Lösung im Instanzenzug
c) Entscheidung des BGH
d) Stellungnahme
3. Ausnahme: Schutzwürdige Rechte Dritter
IV. Schuldrechtliche Schwächen des Schadensersatzanspruchs
1. Mitverschulden (§ 254 BGB)
2. Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB)
3. Verwirkung (§ 242 BGB)
V. Wertungstransfer auf reine Treupflichtverletzungen
1. Grundsatz
2. Bloße Reflexschäden
3. Anspruch allein der Gesellschaft
4. Nichtige Beschlüsse
VI. Schluss


I. Die Problematik

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Mangelhafte Beschlüsse sind seit langem Schauplatz intensiver Debatten. Im Fokus steht das Beschlussmängelrecht: Im Aktienrecht seit langem institutionalisiert (§§ 241 ff. AktG), in der GmbH analog angewandt, jüngst gleichfalls für die Personen(handels)gesellschaft durch den Gesetzgeber installiert (§§ 110 ff. HGB-MoPeG). Ungleich weniger Beachtung fand in der Vergangenheit demgegenüber die Frage, inwieweit daneben schuldrechtliche Ansprüche in Betracht kommen. Die Problematik lässt sich folgendermaßen zuspitzen: Kann das schädigende Verhalten – Ursache der Beschlussmangelhaftigkeit – auch dann noch schuldrechtliche Ansprüche auslösen, wenn der Beschluss zwischenzeitlich bestandskräftig geworden ist?

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Für das Aktienrecht ließ der II. Zivilsenat des BGH diese Frage einst ausdrücklich unentschieden, während er sich nun – über ein Vierteljahrhundert später – für das GmbH-Recht zu einem Teilaspekt der Problematik positionierte. Das gibt Anlass, den Diskussionsstand zu überprüfen, die BGH-Entscheidung zu würdigen und erste weiterführende Gedanken zu entwickeln.

II. Diskussionsstand

1. Schrifttum

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Eine vertiefende Diskussion wird im Schrifttum kaum geführt. Die Darstellung des Meinungsstands wird zusätzlich noch dadurch erschwert, dass regelmäßig nicht klar danach unterschieden wird, ob die Bestandskraft des rechtswidrigen Beschlusses gegen Ersatzansprüche eines Gesellschafters oder gegen Ersatzansprüche der Gesellschaft in Stellung gebracht werden. Denn grundsätzlich kann die sittenwidrige oder auch nur pflichtwidrige Herbeiführung rechtswidriger Beschlüsse sowohl Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Gesellschafter als auch Ersatzansprüche von Gesellschaftern gegen Mitgesellschafter begründen (dazu näher V.1.; Rz. 33); in Betracht kommt weiterhin ein Ersatzanspruch von Gesellschaftern gegenüber der Gesellschaft. Von dieser Erschwernis abgesehen, ist der Meinungsstand schnell referiert. Im Grundsatz stehen sich drei Positionen gegenüber:

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Nach einer Ansicht soll treuwidriges Stimmverhalten nur dann Schadensersatzansprüche begründen, wenn der Beschluss zunächst angefochten wurde bzw. dann nicht mehr, wenn zwischenzeitlich Bestandskraft eingetreten ist. Begründet wird dies zum einen mit der rechtsbefriedenden Funktion der Anfechtungsfrist, die durch Schadensersatzansprüche nicht unterlaufen werden solle, zum anderen auch mit der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen im Anfechtungs- und Haftungsprozess. In diese Richtung geht auch die Argumentation, wonach das Schadensersatzrecht gegenüber der möglichen Beschlussmängelklage „subsidiär“ sei. Insbesondere Martin Winter hat sich in seiner grundlegenden Arbeit zur Treuepflicht für diese Position stark gemacht und argumentiert, dass eine mit der Schadensersatzklage erzwungene Rückgängigmachung des Beschlusses dessen Bestandskraft konterkariere. Restitutionsansprüche auf Beseitigung eines nichtigen Beschlusses seien gleichfalls mehr möglich, wenn dieser durch Heilung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG bestandskräftig geworden sei. Eine Ausnahme soll im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung i.S.v. § 826 BGB gelten.

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Eine vermittelnde Ansicht will Schadensersatzansprüche dann zulassen, wenn die Bestandskraft des mangelhaften Beschlusses dadurch nicht in Frage gestellt wird. Diese Einschränkung wird teilweise so verstanden, dass ersatzfähig nur der Schaden sei, der auch durch die Anfechtung des Beschlusses nicht entfallen wäre, teilweise aber auch in dem Sinne, dass ein geschädigter Gesellschafter ungeachtet der Bestandskraft des schädigenden Beschlusses seinen sog. Individualschaden geltend machen könne.

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Nach einer verbreiteten, regelmäßig indes nur knapp begründeten Gegenauffassung schließt die Bestandskraft des schädigenden Beschlusses einen Schadensersatzanspruch gegen einen pflichtwidrig handelnden Gesellschafter hingegen nicht aus. Marsch-Barner hat diese Ansicht argumentativ ausgebaut: Einerseits mache die Unanfechtbarkeit den Beschluss nicht rechtmäßig, andererseits sei die Rechtssicherheit nicht gefährdet, weil der Schadensersatzprozess den unanfechtbaren Beschluss nicht beseitige. In neuerer Zeit hat sich auch Emde für diese Sichtweise stark gemacht. Verneint wird die Notwendigkeit einer vorausgehenden Anfechtung des schädigenden Gesellschafterbeschlusses speziell für den Individualschaden, der aus einer pflichtwidrigen Beeinträchtigung der Mitgliedschaft resultiert.

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Zusammenfassend lässt sich nochmals festhalten: Besondere Aufmerksamkeit findet unsere Problematik weder im aktien- noch im GmbH-rechtlichen Schrifttum.

2. Rechtsprechung
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Aus Treupflichtverletzungen können Schadensersatzansprüche folgen – das ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt. Ob derartige Ansprüche auch aus treupflichtwidrigem Abstimmungsverhalten folgen können, schien dem BGH aber nicht ausgemacht. In BGHZ 129, 136 (Girmes) sieht sich der II. Zivilsenat zunächst mit der Hürde des § 117 Abs. 7 Nr. 1 AktG a.F. konfrontiert: Danach sollten die Vorschriften des § 117 AktG dann nicht greifen, wenn Vorstand, Aufsichtsrat, Prokurist oder...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.03.2023 16:57
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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