Aktuell in der GmbHR

Selbstbestellung des Vorstands der Mutter-AG zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH (Wicke, GmbHR 2023, 477)

Es ist in Konzernkonstellationen ein alltäglicher Vorgang, dass sich Organvertreter der Muttergesellschaft zu Geschäftsführern der Tochter-GmbH bestellen, nicht selten durch Einschaltung eines rechtsgeschäftlichen Vertreters, der den Bestellungsbeschluss unterzeichnet. Der in einer solchen Selbstbestellung liegende Interessenkonflikt wirft einige Probleme auf, die insbesondere im Fall einer AG als Muttergesellschaft noch nicht abschließend gelöst sind. Eine aktuelle Entscheidung des BGH schafft in mancher Hinsicht Klarheit, lässt aber nach wie vor wichtige Praxisfragen offen, und soll daher im Folgenden näher in den Blick genommen werden.

I. Sachverhalt und Gang des Verfahrens
II. Der Interessenkonflikt
III. Lösung des BGH
IV. Bewertung und Praxisfolgen

1. Anwendung des § 181 Fall 1 BGB und Ablehnung von § 112 AktG
2. Befreiung von § 181 Fall 1 BGB
3. Bestellung durch andere Vorstandsmitglieder oder Bevollmächtigte der AG
a) Vertretung durch andere Vorstandsmitglieder
b) Vertretung durch Prokuristen und (Unter-) Bevollmächtigte
4. Genehmigung der schwebend unwirksamen Stimmabgabe bzw. Bestellung
5. Der Geist aus der Flasche: § 47 Abs. 4 GmbHG
6. Nicht behandelte Sonderfälle
V. Wesentliche Ergebnisse


I. Sachverhalt und Gang des Verfahrens

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In dem Verfahren war Antragstellerin eine GmbH in Gründung, deren Alleingesellschafterin, die J. AG, drei Vorstände D., Dr. E. und Dr. T hatte. Diese waren entweder jeweils gemeinsam mit einem anderen Vorstandsmitglied oder jeweils allein gemeinsam mit einem Prokuristen zur Vertretung der AG berechtigt. Zwei von ihnen, Dr. E und Dr. T „handelnd als gesamtvertretungsbefugte Geschäftsführer der J. AG“, erteilten Dr. O. eine notariell beglaubigte Vollmacht, die J. AG u.a. bei der Gründung einer oder mehrere Gesellschaften mit beschränkter Haftung und der Bestellung eines oder mehrerer Geschäftsführer zu vertreten. Dieser unterzeichnete namens der AG das notarielle Gründungsprotokoll zur Errichtung der GmbH und bestellte im Rahmen einer zugleich abgehaltenen Gesellschafterversammlung die drei vorgenannten Vorstandsmitglieder der Alleingesellschafterin zu Geschäftsführern.

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Das Registergericht erließ eine Zwischenverfügung und verlangte im Hinblick auf den Geschäftsführerbestellungsbeschluss bezüglich der Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat der J. AG samt zusätzlicher Befreiung der Vorstände von den Beschränkungen des § 181 Fall 1 BGB für den konkreten Einzelfall. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hob das OLG Frankfurt als Beschwerdegericht die Zwischenverfügung auf, soweit über die Vorlage einer Genehmigung des Aufsichtsrats hinaus die Vorlage der Befreiung von den Beschränkungen des § 181 Fall 1 BGB für den Einzelfall verlangt worden war. Die (zugelassene) Rechtsbeschwerde zum BGH führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit das Beschwerdegericht die Beschwerde zurückgewiesen hat, und der Zwischenverfügung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Registergericht.

II. Der Interessenkonflikt
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Die Problematik dieser Standardkonstellation liegt in dem Interessenkonflikt der bestehen kann, wenn der Vorstand als gesetzlicher Vertreter der Mutter-AG sich selbst zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH bestellt. Daher stellt sich im ersten Schritt die Frage, nach welcher gesetzlichen Vorschrift die Vertretungsbefugnis des Vorstands auf Seiten der AG oder die Stimmrechtsausübung auf Ebene der Gesellschafterversammlung der GmbH eingeschränkt sein könnte. Bislang wird in Rechtsprechung und Literatur eine Anwendung von § 181 Fall 1 BGB, von § 112 AktG und von § 47 Abs. 4 GmbHG vertreten. In zweiter Linie ist zu prüfen, wer die AG vertreten muss, um einen Interessenkonflikt von vornherein zu vermeiden oder – im Fall eines Verstoßes – ob und durch wen eine Genehmigung erfolgen kann.

III. Lösung des BGH
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Der BGH hält § 181 Fall 1 BGB für einschlägig, lehnt eine Anwendung von § 112 AktG ab und lässt offen, ob ein Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 vorlag. Die Vorstandsmitglieder Dr. E und Dr. T seien bei der Stimmabgabe bezüglich der auf ihre eigene Bestellung gerichteten Beschlussfassung nach § 181 Fall 1 BGB in ihrer Vertretungsmacht beschränkt gewesen, die Stimmabgabe und der Bestellungsbeschluss seien insoweit schwebend unwirksam.

Demgegenüber habe in der Person des D kein Fall des § 181 BGB vorgelegen, da dieser weder an der Bevollmächtigung von Dr. O noch an der auch auf seine eigene Bestellung gerichteten Beschlussfassung beteiligt gewesen sei. Zur Genehmigung der Bestellung der beiden Vorstandsmitglieder Dr. E und Dr. T sei nicht der Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin berufen. Vielmehr könne D gemeinsam mit einem Prokuristen oder einem nicht durch § 181 BGB ausgeschlossenen Vorstandsmitglied die ausstehende Genehmigung erklären. Die Bestellung von D zum Geschäftsführer der GmbH im Rahmen der Gründung sei wirksam erfolgt und nicht an § 139 BGB gescheitert, so dass die Genehmigung der Bestellung von Dr. E und Dr. T insoweit kein Insichgeschäft sei. Ob die Möglichkeit zur ordnungsgemäßen Vertretung der J. AG durch das Vorstandsmitglied D gemeinsam mit einem Prokuristen oder einem anderen nicht durch § 181 BGB in seiner Vertretungsmacht beschränkten Vorstandsmitglied im konkreten Fall tatsächlich bestehe, sei nicht festgestellt worden. Der BGH ließ daher offen, ob die Genehmigung nur (bzw. zumindest dann) durch den Aufsichtsrat erklärt werden könne, wenn der Vorstand hierzu mangels einer ausreichenden Anzahl nicht in einem Interessenkonflikt stehender Vorstandsmitglieder nicht in der Lage ist oder ggf. die Bestellung eines stellvertretenden Vorstandsmitglieds in Betracht komme (§ 105 Abs. 2 AktG).

IV. Bewertung und Praxisfolgen

1. Anwendung des § 181 Fall 1 BGB und Ablehnung von § 112 AktG

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Die Anwendung von § 181 Fall 1 BGB in dieser Konstellation ist nicht unumstritten, entspricht aber der bislang überwiegenden Auffassung und verdient Zustimmung. Nach der Vorschrift kann ein Vertreter, soweit ihm nicht ein anderes gestattet ist, im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen. Wie der II. Zivilsenat zutreffend ausführt, handelt das Vorstandsmitglied einerseits bei der Bestellungserklärung im Namen der Mutter-AG als Alleingesellschafterin der Vor-GmbH und andererseits bei der Annahme des Geschäftsführeramts zugleich im eigenen Namen. Nach dem Sinn und Zweck des § 181 Fall 1 BGB, die Vertretung einheitlicher und widersprechender Interessen durch ein und dieselbe Person zu verhindern, gelte dies auch für...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.05.2023 12:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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