Aktuell in der GmbHR

Gesellschafterliste bei Tod eines GmbH-Gesellschafters (Bayer/Rauch, GmbHR 2023, 885)

Grundsätzlich verfolgt § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ein klares Konzept: Gegenüber der GmbH soll als Gesellschafter nur legitimiert sein, wer in der Gesellschafterliste eingetragen ist. Um diesen Grundgedanken ranken sich indes im Erbfall mehrere Zweifelsfragen, die trotz mehr als 15 Jahren neuer Rechtslage nach dem MoMiG bislang nicht abschließend geklärt sind und deshalb unter Einbeziehung neuerer Rechtsprechung nochmals umfassend aufbereitet werden sollen.

I. Anlass
II. Grundlagen zur Legitimationswirkung der Gesellschafterliste
III. Wechselspiel von Legitimationswirkung und Erbrecht

1. Bloße Eigenschaft als Erbe (nicht) ausreichend
2. Fallstricke nach Kenntnisgrad
a) Erbfall unbekannt
b) Erbfall bekannt, Erbfolge klar
c) Erbfall bekannt, Erbfolge unklar
d) Erbfall bekannt, Aufenthaltsort des Erben unbekannt
3. Tod des Alleingesellschafter-Geschäftsführers
a) Problemskizze
b) Vorzugswürdige Lösung
c) Praxisfall KG v. 23.11.2022 – 22 W 50/22
4. Testamentsvollstreckung
5. Erbenhaftung
6. Scheinerbe, späterer Wegfall der Erbenstellung und varia
IV. § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG im Erbfall
V. Transfer auf andere Fälle der Gesamtrechtsnachfolge
VI. Fazit


I. Anlass

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Geht es um die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste, kann sich der Tod eines GmbH-Gesellschafters als rechtsdogmatische und rechtspraktische Zerreißprobe entpuppen. In manchen Konstellationen erreicht die gesetzliche Konzeption gar die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Das ist empfindlich, weil damit der Rechtssicherheitsgewinn der Gesellschafterliste praktisch erheblich an Gewicht verliert. Erneute, vertiefende Gedanken zur Thematik sind daher angezeigt. Es wird sich zeigen: Die Probleme sind zwar ernst zu nehmen, im Ergebnis aber auch mit der lex lata lösbar.

II. Grundlagen zur Legitimationswirkung der Gesellschafterliste
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Die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste ist bereits an anderen Stellen ausführlich dargestellt. Zum Aufzeigen der Ausgangslage ist es gleichwohl notwendig, ihre Grundlagen erneut zu skizzieren:

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Seit dem MoMiG ist die Gesellschafterliste erheblich aufgewertet. In Anlehnung an § 67 Abs. 2 Satz 1 AktG gilt gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG im Verhältnis zur GmbHG nur derjenige als Gesellschafter, der in die Gesellschafterliste eingetragen ist. Die Eintragung läuft nicht zwingend mit der materiellen Rechtslage parallel, sondern ist von ihr entkoppelt. Sprich: Dritten gegenüber ist allein der materiell Berechtigte Inhaber des Geschäftsanteils, und zwar auch ohne Eintragung. Im Verhältnis zur Gesellschaft ist die Listeneintragung hingegen von zentraler Bedeutung. Denn richtigerweise vermutet § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG in diesem Verhältnis unwiderleglich, der Listengesellschafter sei tatsächlich Gesellschafter – ganz gleich, ob das der materiellen Rechtslage widerspricht. Daraus folgt: Die Mitgliedschaftsrechte kann nur der Eingetragene ausüben, die GmbH darf nur ihn als Gesellschafter behandeln und (grundsätzlich) haftet nur der Eingetragene der GmbH für Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsanteil.

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Damit ist die sog. positive Legitimationswirkung der Gesellschafterliste beschrieben, also diejenigen Effekte, die sie auf den Eingetragenen hat. Umgekehrt wirkt sie aber auch zu Lasten derer, die nicht eingetragen sind (sog. negative Legitimationswirkung). Mitgliedschaftsrechte können diese Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft nicht wahrnehmen.

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Dieses tradierte Verständnis prägt auch die jüngere Rechtsprechung des BGH. Einzelne unglückliche obiter dicta ändern hieran richtigerweise nichts.

III. Wechselspiel von Legitimationswirkung und Erbrecht

1. Bloße Eigenschaft als Erbe (nicht) ausreichend

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Es entspricht heute gefestigter Meinung, dass die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste auch im Erbfall gilt. Dem widerspricht insbesondere Altmeppen: Der Erbe sei in gleichem Maße legitimiert wie einst der Erblasser. Könne sich der Erbe durch Erbschein legitimieren, bestehe kein Anlass, ihm die Gesellschafterrechte zu verwehren. Darauf sei der Erbe sogar noch stärker als der rechtsgeschäftliche Erwerber angewiesen, weil hier der (noch) legitimierte Altgesellschafter fehle, der auf die Listenänderung hinwirken könne. Aus Sicht des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG streitet hiergegen Vieles. Die Argumente sind ausgetauscht: Ihrerzeit sahen die Gesetzesverfasser des MoMiG den Erwerb durch Gesamtrechtsnachfolge ausdrücklich als Fall des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Dementsprechend gebieten weder Wortlaut noch Telos 30 der Vorschrift eine Ausnahme des Erbfalls. Der Erbe hat außerdem einen Anspruch auf Eintragung und kann diesen, ist er durch Erbschein legitimiert, auch effektiv durchsetzen. Und schließlich geht der Erbe durch § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG weder seiner Gewinnansprüche verlustig noch kann er sich ....



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.09.2023 08:28
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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