Kurzbesprechung

Zuständigkeit für die Auflösung einer Rücklage nach § 6b EStG nach Ausscheiden eines Mitunternehmers

1. Das Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft hat über die Einstellung des Veräußerungsgewinns in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG zu entscheiden, auch wenn ein Mitunternehmer seinen gesamten Mitunternehmeranteil veräußert hat.
2. Über die später wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist erforderliche Auflösung einer solchen Rücklage ist nicht im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft, sondern im Einkommensteuerverfahren des früheren Mitunternehmers zu entscheiden.
3. Wenn die Rücklage nach § 6b EStG im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erst aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, ermöglicht § 174 Abs. 4 AO für den Veranlagungszeitraum des Ablaufs der Reinvestitionsfrist die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des früheren Mitunternehmers, um den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage zu erfassen.

BFH v. 12.7.2023 - X R 14/21

EStG § 6b Abs. 1, § 6b Abs. 3 Satz 1, § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 5, § 6b Abs. 3 Satz 5
AO § 18 Abs. 1 Nr. 2, § 174 Abs. 4, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b
FGO § 11
GewStG § 7 Satz 2


Ist der Gewinn aus der Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden und ist diese Rücklage nicht bis zum Ablauf der Reinvestitionsfrist von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten hierfür geeigneter Wirtschaftsgüter abgezogen worden, muss die Gewinnerhöhung, die sich aus der Auflösung der Rücklage ergibt, unmittelbar im Einkommensteuerverfahren des in diesem Veranlagungszeitraum weder an der Mitunternehmerschaft noch an deren Gewinnfeststellungsverfahren beteiligten ehemaligen Gesellschafters berücksichtigt werden.

Da die Rücklage in einem solchen Fall nicht Bestandteil der Gesamthandsbilanz der Mitunternehmerschaft ist, bleibt bilanztechnisch nur die Möglichkeit, sie in eine Sonderbilanz des ausscheidenden Gesellschafters einzustellen. Die spätere Auflösung einer solchen Rücklage führt zu nachträglichen gewerblichen Einkünften des ehemaligen Gesellschafters im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG.

In einem solchen Fall kommt eine Auflösung der Rücklage im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens der Mitunternehmerschaft nicht in Betracht. Denn nach § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind einkommensteuerpflichtige Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen ‑ nur dann ‑ gesondert und einheitlich festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der frühere Gesellschafter aufgrund der Veräußerung seines gesamten Mitunternehmeranteils aus der Mitunternehmerschaft ausgeschieden ist. Denn er verliert mit seinem Ausscheiden nicht nur seine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an den Einkünften der Gesellschaft; ihm sind auch ‑ aufgrund des Wegfalls seiner Mitunternehmerstellung und damit des Merkmals der gemeinschaftlichen Einkünfteerzielung ‑ ab dem Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres die Einkünfte der Mitunternehmerschaft steuerlich nicht mehr zuzurechnen. Persönliche nachträgliche gewerbliche Einkünfte eines bereits in einem früheren Wirtschaftsjahr aus einer Mitunternehmerschaft ausgeschiedenen Steuerpflichtigen sind nicht mehr in das Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft einzubeziehen.

Zwar stellt diese rechtliche Beurteilung die Finanzverwaltung vor die Notwendigkeit, einen Informationsfluss vom Betriebs-FA der Mitunternehmerschaft, in der der ausgeschiedene Gesellschafter die Rücklage gebildet hatte, zum Wohnsitz-FA des ausgeschiedenen Gesellschafters zu gewährleisten. Da die Finanzverwaltung aber ebenfalls die vorstehend beschriebene Auslegung des § 6b EStG und des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO vertritt, geht der BFH davon aus, dass sie die Sicherstellung eines solchen Informationsflusses für möglich hält.

Im Streitfall war auch kein gesondertes Feststellungsverfahren gem. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO durchzuführen. Danach werden unter anderem Einkünfte aus Gewerbebetrieb gesondert festgestellt, wenn nach den Verhältnissen zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums das für die gesonderte Feststellung zuständige FA nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist. Würde man in der gegebenen Konstellation die Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung bejahen, müsste das Betriebs-FA der Mitunternehmerschaft neben der einheitlichen und gesonderten Feststellung für diejenigen Personen, die im Feststellungszeitraum der Auflösung der Rücklage Mitunternehmer der Gesellschaft sind ‑ zu denen der ausgeschiedene Gesellschafter nicht gehört ‑, eine zusätzliche gesonderte Feststellung allein für den ausgeschiedenen Mitunternehmer durchführen.

Die Auflösung einer aus einem Veräußerungsgewinn gebildeten Rücklage führt zu nachträglichen gewerblichen Einkünften im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG. Nachträgliche gewerbliche Einkünfte unterliegen aber nicht mehr der Gewerbesteuer, da es ‑ in Ermangelung eines werbenden Betrieb ‑ an einem tauglichen Steuergegenstand fehlt.

Im Streitfall war der ursprüngliche Gewinnfeststellungsbescheid 2006 für die KG, in dem die Rücklage noch nicht berücksichtigt war, insoweit aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ‑ hier: der Berechtigung des Steuerpflichtigen, den Gewinn aus der Veräußerung seines Mitunternehmeranteils in eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen ‑ ergangen und anschließend aufgrund des Einspruchs des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten geändert worden. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO können in einem solchen Fall aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids ‑ hier: des Einkommensteuerbescheids der Steuerpflichtigen für das Jahr 2010 als dem Jahr des Ablaufs der vierjährigen Reinvestitionsfrist ‑ die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dabei ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO), was hier geschehen ist. Es handelt sich dabei nicht um eine analoge, sondern bereits um eine unmittelbare Anwendung des § 174 Abs. 4 AO.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.10.2023 15:52
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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