Aktuell in der GmbHR

Einstweiliger Rechtsschutz im GmbH-Recht (Leinekugel, GmbHR 2023, 1233)

Der Verfasser hat auf dem 18. Deutschen Handels- und Gesellschaftsrechtstag zu einstweiligen Verfügungsverfahren im GmbH-Recht referiert und deren rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen sowie die aktuellen Rechtsprechungsentwicklungen behandelt. Schwerpunktmäßig geht es im vorliegenden Beitrag um vorbeugende Maßnahmen gegen bevorstehende Beschlussfassungen/Veränderungen sowie um die Vollzugsverhinderung streitiger Beschlussfassungen. Dabei stehen praxisrelevante Fragen anlässlich der Einreichung einer neuen Gesellschafterliste, wie der Verfügungsgrund und der richtige Antragsgegner, im Vordergrund.

I. Einführung: Der Zeitfaktor im Gesellschafterkonflikt
II. Praxisrelevante Konstellationen
III. Reaktionsmöglichkeiten bei bevorstehenden Beschlüssen
IV. Materiellrechtliche Hintergründe typischer Konfliktfälle

1. Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund
2. Ausschließung und Einziehung
3. Von der materiellen Rechtslage entkoppelte Legitimation durch die Gesellschafterliste
4. Beschlussfeststellungen als Weichenstellung für die Antragslast
V. Glaubhaftmachung von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund
1. Verfügungsanspruch
2. Verfügungsgrund
a) Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch Abwarten
b) Tatsächliche Gefahrenverwirklichung lässt Dringlichkeit nicht neu entstehen
c) Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch Nichtumsetzungsvereinbarung?
3. Glaubhaftmachung
VI. Zivilprozessuales
1. Zuständiges Gericht
2. Beschlussverfügung, Schutzschriften, mündliche Verhandlung und rechtliches Gehör
3. Streitgegenstand
4. Antrag, Ermessensspielraum und Vorwegnahmeverbot
5. Vollziehungsfrist
6. Prozessparteien
7. Vertretung
8. Schadensersatzpflicht
9. Rechtsmittel
VII. Untersagung der Einreichung einer neuen Gesellschafterliste
1. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund
2. Passivlegitimation
a) Grundsatz: Unterlassungsanspruch nur gegen die GmbH (nicht auch gegenüber deren Geschäftsführern persönlich)
b) Ausnahme: Treupflichtverstoß des Mitgesellschafter-Geschäftsführers
VIII. Beseitigungsanspruch: (Wieder-)Einreichung der bisherigen/korrigierten Gesellschafterliste
1. Die Grenze des zeitlich Möglichen
2. Zudem: Gegebenenfalls gezieltes Unterlaufen von Rechtsschutzmöglichkeiten
3. Beseitigungsanspruch als Fortsetzung des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs und Vergleichbarkeit der Interessenslagen
4. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund
IX. Untersagung der Berufung auf eine im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste
X. Sonstige Fallgruppen einstweiligen Rechtsschutzes (Anträge der Gesellschaft)

1. Tätigkeitsverbot für abberufene Geschäftsführer
2. Untersagung der Geschäftsführungstätigkeit bis zur Abberufung
3. Herausgabe von Unterlagen
4. Behandlung eines streitig Bestellten als Geschäftsführer
5. Mitwirkung an der Handelsregisteranmeldung
XI. Sonstige Fallgruppen einstweiligen Rechtsschutzes (Anträge eines Gesellschafters)
1. Verbot der Stimmrechtsausübung/Durchsetzung eines Stimmverbots
2. Verbot der Vollziehung einer Abberufung
3. Behandlung als Geschäftsführer nach streitigem Bestellungsbeschluss
4. Mitwirkung an Handelsregisteranmeldung
5. Verbot der Handelsregisteranmeldung
6. Sicherung von Organbefugnissen
7. Anträge gegen einen Fremdgeschäftsführer?
XII. Sonstige Fallgruppen einstweiligen Rechtsschutzes (Anträge eines Organs)
1. Keine Antragsbefugnis eines Fremdgeschäftsführers zur Sicherung seiner Organstellung
2. Keine Antragsbefugnis eines Fremdgeschäftsführers gegen Mitgeschäftsführer auf Einschränkung der Geschäftsführung und Vertretungsbefugnis des anderen
3. Sicherung von Organbefugnissen
XIII. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse


I. Einführung: Der Zeitfaktor im Gesellschafterkonflikt

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Einstweiliger Rechtsschutz ermöglicht vorläufige Regelungen. Aber: „Nichts hält länger als ein Provisorium“, auch im Gesellschaftsrecht. Wem es gelingt, in Gesellschafterkonflikten nach streitigen Beschlüssen per einstweiliger Verfügung zumindest einmal vorläufig die eigene Position durchzusetzen, erreicht damit häufig mehr als die Wahrung des Status quo. Er stellt dann vielfach auch dauerhaft die Weichen für die Zukunft. So wird etwa ein Gesellschafter-Geschäftsführer, dem vorläufig die Ausübung seiner Tätigkeit untersagt wird, im Unternehmen faktisch kaum noch wieder Fuß fassen. Und wer erst einmal aus der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste entfernt ist, hat schon fast verloren. Selbst wenn es ihm nach mehreren Instanzen gelingen sollte, die Unwirksamkeit des Einziehungsbeschlusses o.Ä. zu erstreiten, wird seine Gesellschaft Jahre später nicht mehr dieselbe sein. Gerade weil sich auf der faktischen Ebene die Geschicke einer Gesellschaft und ihrer Gesellschafter unmittelbar nach streitigen Gesellschafterbeschlüssen entscheiden, hat der einstweilige Rechtsschutz im Gesellschafterstreit eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Es gibt ein immenses Bedürfnis nach kurzfristigen Regelungen, da Fehlentwicklungen ansonsten kaum korrigiert werden können. Allerdings droht durch einstweilige Verfügungen auch ein erheblicher Eingriff in das gesellschaftsrechtliche Gefüge und die Rechtsstellung der übrigen Gesellschafter. Diese müssen bei Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Entscheidung in der Hauptsache abwarten, die vielfach erst nach mehreren Jahren ergeht, bevor sie einen mehrheitlich gefassten Beschluss umsetzen können.

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Überhaupt ist der Faktor Zeit in einem Gesellschafterkonflikt vielfach von entscheidender Bedeutung. Es gibt unzählige Konstellationen, in denen es für die Verhandlungsposition eines Gesellschafters wichtig ist, zumindest noch für eine gewisse Zeit Geschäftsführer zu bleiben bzw. umgekehrt den Mitgesellschafter vor einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis aus der Geschäftsführung oder gar der Gesellschafterstellung zu verdrängen.

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Der Zeitfaktor ist bei einstweiligem Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht auch noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt relevant: Die beratenden Rechtsanwälte müssen innerhalb kürzester Zeit viel leisten. Die zur Verfügung stehenden Reaktionszeiten sind regelmäßig sehr knapp und nicht verlängerbar. Die gesetzliche Ladungsfrist zu einer Gesellschafterversammlung beträgt eine Woche (§ 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Oft sehen Gesellschaftsverträge zwar längere Ladungsfristen vor; diese sind jedoch selten länger als zwei Wochen. Wer per einstweiliger Verfügung die Nichtdurchführung einer Gesellschafterversammlung erreichen oder auf das Abstimmungsverhalten seiner Mitgesellschafter Einfluss nehmen will, hat also regelmäßig maximal zwei Wochen Zeit, um einen entsprechenden Antragsschriftsatz zu verfassen, die Glaubhaftmachungsmittel zu beschaffen, das Gericht zum Erlass der einstweiligen Verfügung zu bringen – was meist nicht ohne mündliche Verhandlung geschehen wird – und die einstweilige Verfügung zuzustellen. Immerhin: Je nachdem, welche Beschlussfähigkeitsregelungen der Gesellschaftsvertrag enthält, kann sich der Antragsteller ggf. noch zusätzliche Zeit dadurch verschaffen, dass er durch Nichterscheinen zu der Gesellschafterversammlung deren Beschlussunfähigkeit herbeiführt und den Antragsgegner so zwingt, unter nochmaliger Einhaltung der gesellschaftsvertraglichen Ladungsfrist zu einer Folgeversammlung zu laden. Unabhängig davon werden Verfügungsverfahren häufig auch zu einem gänzlich unglücklichen Zeitpunkt nötig, nämlich wenn der Anwalt anderweitig stark eingebunden ist.

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Bei sich möglicherweise zuspitzenden Gesellschafterkonflikten tut man daher als beratender Anwalt gut daran, mit der Gegenseite nicht über die eigenen Urlaubspläne zu sprechen oder aber zumindest das Mandat zu zweit zu bearbeiten. Aber auch, wer Zwangsmaßnahmen gegen einen Mitgesellschafter einleitet, sollte diese nach Möglichkeit so terminieren, dass er zeitliche Ressourcen für ein einstweiliges Verfügungsverfahren hat.

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Konkret bedeutet das etwa: Wer den Ausschluss oder die Abberufung eines Mitgesellschafters plant, muss damit rechnen, dass dieser sich schon im Vorfeld der anstehenden Gesellschafterversammlung, jedenfalls aber unmittelbar danach mittels einstweiliger Verfügung zur Wehr setzen wird. Als „Angreifer“ ist es daher nicht damit getan, in der Ladung zur Gesellschafterversammlung nur bestimmte Tagesordnungspunkte anzukündigen. Schon mit der Ladung sollte vielmehr auch eine Schutzschrift hinterlegt werden, die insbesondere auch eine belastbare Glaubhaftmachung des relevanten Sachverhalts enthält.

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Selbst wenn ein Rechtsanwalt sich nach Kräften einsetzt, um eine einstweilige Verfügung zu erlangen, ist das keine Garantie, dass der gebotene Eilrechtsschutz tatsächlich erreicht werden kann. In einstweiligen Verfügungsverfahren ist der Antragsteller ganz besonders darauf angewiesen, dass auch das Gericht schnell arbeitet. Es ist daher regelmäßig sinnvoll, kurz nach Antragstellung Kontakt mit dem Vorsitzenden aufzunehmen und deutlich zu machen, dass bzw. warum eine einstweilige Verfügung bis zu einem bestimmten Termin dringend erforderlich ist.

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Dass LGs einstweilige Verfügungsverfahren angemessen priorisieren, ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Antragsteller erleben insofern sowohl im Positiven als auch im Negativen gelegentlich Überraschungen: In einem von einem Partner des Autors geführten einstweiligen Verfügungsverfahren, bei dem ein Vorstandsmitglied seine AG auf Zugang zu ihm vorenthaltenen Informationen und Unterlagen in Anspruch genommen hat, die zur Beurteilung einer möglichen Insolvenzantragspflicht zwingend notwendig waren, hat jüngst eines der größten deutschen LGs mehr als eine Woche gebraucht, um den Verfügungsantrag der Antragsgegnerin zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs überhaupt zuzustellen und über einen weiteren Monat, um ihm dann im Beschlusswege stattzugeben, nachdem die Gesellschaft nicht reagiert hatte. So etwas führt einstweiligen Rechtsschutz ad absurdum.

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Auf der anderen Seite hat der Autor aber auch schon erlebt, dass Vorsitzende, nachdem sie erst einmal die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit erkannt und innerhalb der knappen zur Verfügung stehenden Zeit einen Beschluss abgesetzt haben, in überobligatorischer Weise daran mitwirken, dass ihre Arbeit nicht umsonst war und der Beschluss noch rechtzeitig zugestellt werden kann.

II. Praxisrelevante Konstellationen
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Der im GmbH-Recht wohl am häufigsten auftretende Fall, bei dem einstweilige Verfügungen beantragt werden, ist die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund – ggf. auch verbunden mit seiner zwangsweisen Entfernung aus der Gesellschaft durch Ausschluss bzw. Einziehung. Bei eskalierten Gesellschafterkonflikten streiten die Gesellschafter regelmäßig auch um die Geschäftsführerposition, also um das operative Machtzentrum. Die verschärfte Form eines solchen Konfliktes sind Konstellationen, in denen der Abberufene gleichzeitig auch noch Schutz gegen...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.11.2023 17:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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