Aktuell in der GmbHR

Das neue Beschlussmängelrecht der §§ 110 ff. HGB (Fehrmann/Leclerc/Schirrmacher, GmbHR 2024, 57)

Durch das zum 1. Januar 2024 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) wurde das Personengesellschaftsrecht umfassend reformiert und eine Reihe von Fragen der Binnenorganisation von Personengesellschaften umfassend überarbeitet. Ein zentraler Baustein dieser Reformgesetzgebung ist die erstmalige Kodifizierung eines Beschlussmängelrechts für die Personenhandelsgesellschaften in den §§ 110 ff. HGB. Pünktlich zum Inkrafttreten des MoPeG gibt der nachfolgende Beitrag einen praxisorientierten Überblick über die Neuerungen und beleuchtet dabei insbesondere den Anwendungsbereich des neuen Beschlussmängelregimes (II.), die Bedeutung der Beschlussfeststellung (III.), die Beschlussmängelarten und ihre Fehlerfolgen (IV.), die prozessuale Geltendmachung von Beschlussmängeln (V.) und die Folgen für die Schiedsfähigkeit (VI.).

I. Einleitung
II. Anwendungsbereich der §§ 110 ff. HGB
III. Beschlussfeststellung als Weichenstellung für das Beschlussmängelregime

1. Beschlussfeststellung (weiterhin) ungeregelt
2. Beschlussfeststellung und Beschlussfeststellungskompetenz
3. Praxishinweis
IV. Beschlussmängelarten und Fehlerfolgen
1. Systematik der Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nach § 110 HGB
2. Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen
3. Unwirksamkeit als Sonderkategorie
4. Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen
5. Bestätigung anfechtbarer und Heilung nichtiger Beschlüsse nach aktienrechtlichem Vorbild?
V. Geltendmachung von Beschlussmängeln
1. Klagearten im Anwendungsbereich der §§ 110 ff. HGB
2. Anfechtungsklage (§ 113 HGB)
a) Zulässigkeit der Anfechtungsklage
aa) Ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts am Sitz der Gesellschaft
bb) Passivlegitimation der Gesellschaft und ihre Prozessvertretung
b) Begründetheit der Anfechtungsklage
aa) Anfechtungsbefugnis und Rechtsschutzbedürfnis gem. § 111 Abs. 1 und 2 HGB
(1) Grundsätzliches
(2) Anfechtungsbefugnis des unmittelbaren und mittelbaren Rechtsnachfolgers
(3) Anfechtungsbefugnis des Rechtsvorgängers
bb) Klagefrist und ihre Hemmung nach Maßgabe des § 112 HGB
(1) Dogmatische Einordnung und Rechtsfolgen der Klagefrist
(2) Fristbeginn gem. § 112 Abs. 2 HGB
(3) Hemmung der Klagefrist nach § 112 Abs. 3 HGB
c) Urteilswirkungen
3. Nichtigkeitsklage (§ 114 HGB)
4. Feststellungsklagen
a) Überblick
b) Positive Beschlussfeststellungsklage
c) (Isolierte) Beschlussfeststellungsklage
VI. Schiedsfähigkeit
VII. Fazit und Gestaltungshinweise


I. Einleitung

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Mit Wirkung zum 1.1.2024 wurde in den §§ 110 ff. HGB ein Beschlussmängelrecht erstmals auch für Personenhandelsgesellschaften kodifiziert. Diese Entscheidung ist schon im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu Recht begrüßt worden und begründet einen entscheidenden Systemwechsel. Die Geltendmachung von Beschlussmängeln erfolgt im gesetzlichen oder jedenfalls vereinbarten Anwendungsbereich der §§ 110 ff. HGB nunmehr nämlich nicht mehr im Wege des Feststellungs‑, sondern im Wege des Anfechtungsmodells nach kapitalgesellschaftsrechtlichem Vorbild. § 110 Abs. 1 HGB bestimmt, dass ein Beschluss der Gesellschafter wegen Verletzung von Rechtsvorschriften durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden kann. Nehmen die Gesellschafter ihr Anfechtungsrecht nicht wahr, erwachsen rechtswidrige Beschlüsse nunmehr – wie bei der AG und der GmbH – mit Ablauf der Klagefrist nach § 112 Abs. 1 Satz 1 HGB im Interesse der Rechtssicherheit in Bestandskraft. Eine spätere Geltendmachung von Beschlussmängeln ist dann in den Grenzen der Nichtigkeit und Unwirksamkeit des Beschlusses ausgeschlossen. Durch diesen bedeutenden Systemwechsel stellen sich eine Vielzahl bisher unbeantworteter und vom Gesetzgeber zum Teil sogar ausdrücklich der Klärung durch die Rechtsprechung und die Literatur vorbehaltenen Folgefragen, die vor allem für die Praxis ganz erhebliche Bedeutung haben. Das gilt vor allem deshalb, weil keine Übergangsregelungen vorgesehen sind und der Gesetzgeber zudem davon ausgeht, dass das neue Beschlussmängelrecht auch auf das von der Rechtsprechung entwickelte Beschlussmängelrecht der GmbH ausstrahlen wird. Vor diesem Hintergrund nimmt dieser Beitrag die zum Jahreswechsel in Kraft getretenen Neuregelungen zum Anlass, einen praxisnahen Blick auf das neue Beschlussmängelrecht, insbesondere die nach der neuen Regelungskonzeption bedeutende Beschlussfeststellung, die verschiedenen – nun alternativ zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit führenden – Beschlussmängel sowie deren richtige prozessuale Geltendmachung zu werfen.

II. Anwendungsbereich der §§ 110 ff. HGB
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Die (gerichtliche) Geltendmachung von Beschlussmängeln richtet sich für Personenhandelsgesellschaften nunmehr grundsätzlich nach den §§ 110 ff. HGB. Für die Kommanditgesellschaft folgt dies aus dem Verweis in § 161 Abs. 2 HGB. Die Anwendung auf die GbR und die Partnerschaftsgesellschaft, die im Gesetzgebungsverfahren noch in Betracht gezogen worden ist , wurde hingegen unter Hinweis auf das für das Anfechtungsmodell notwendige Mindestmaß einer Formalisierung der Beschlussfassung und des damit einhergehenden Erfordernisses einer gewissen Professionalisierung verworfen. Für die GbR und die Partnerschaftsgesellschaft gilt das Anfechtungsmodell daher jedenfalls nicht kraft Gesetzes. Ohne entsprechende Gesellschaftsvertragsgestaltung bleibt für sie das Feststellungsmodell maßgeblich. Insbesondere scheidet eine analoge Anwendung der §§ 110 ff. HGB auf die GbR mangels planwidriger Regelungslücke aus. Der Gesetzgeber hat nämlich – nachdem der Mauracher Entwurf das Anfechtungsmodell ursprünglich auch für die GbR vorgesehen hat und hieran erhebliche Kritik geäußert wurde – bewusst davon abgesehen, das Anfechtungsmodell als einheitlichen Standard sämtlicher Personengesellschaften zu definieren.

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In der Praxis kann dies zu erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich des im konkreten Fall anwendbaren Beschlussmängelrechts führen. Denn eine (vermeintliche) GbR kann unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB durchaus – unerkannt – OHG mit der Folge sein, dass die Beschlussmängelklage – anders als im Feststellungsmodell der GbR – fristgebunden ist. Auch eine im Gesellschaftsregister eingetragene GbR kann sich bei tatsächlichem Vorliegen eines Handelsgewerbes nicht darauf berufen, dass sie keine OHG sei.

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Rechtsunsicherheiten hinsichtlich des maßgeblichen Beschlussmängelrechts lassen sich insbesondere in Grenzfällen nur durch die Gestaltung des Gesellschaftsvertrags und klare Vereinbarungen zum anwendbaren Beschlussmängelrecht vermeiden. Gesellschaftern einer GbR steht es frei, vom Gesetz abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag zu treffen. Demgemäß kann die (ggf. auch nur modifizierte) Anwendung der §§ 110 ff. HGB im Gesellschaftsvertrag einer GbR im Sinne eines „Opt-in“ angeordnet werden. Enthält der Gesellschaftsvertrag keine Vorgaben zum maßgeblichen Beschlussmängelrecht, sollte in Zweifelsfällen vorsorglich immer die gesetzliche Klagefrist nach § 112 Abs. 1 Satz 1 HGB gewahrt und die Klage vorsorglich sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen die Mitgesellschafter erhoben werden. Ob die Gesellschaft GbR oder OHG ist, ist dann als Vorfrage des Beschlussmängelstreits durch das angerufene Gericht zu klären.

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So, wie es Gesellschaftern einer GbR freisteht, für die Anwendung der §§ 110 ff. HGB zu optieren, so steht es auch den Gesellschaftern von Personenhandelsgesellschaften frei, sich im Sinne eines „Opt-out“ gegen die Anwendung der §§ 110 ff. HGB zu entscheiden und im Gesellschaftsvertrag die Fortgeltung des bisherigen Feststellungsmodells anzuordnen oder die Vorgaben der §§ 110 ff. HGB – in den Grenzen des gesetzlich Zulässigen (vgl. dazu etwa § 112 Abs. 1 Satz 2 HGB) – jedenfalls zu modifizieren. Im Interesse der Rechtssicherheit als mit den §§ 110 ff. HGB verbundenem legitimem Anliegen des Gesetzgebers sollte von einem vollständigen „Opt-out“ – jedenfalls im Regelfall – jedoch abgesehen werden.

III. Beschlussfeststellung als Weichenstellung für das Beschlussmängelregime
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Neben diesen vorstehend skizzierten Fragen ist der Anwendungsbereich der §§ 110 ff. HGB zudem nur eröffnet, wenn der anzugreifende Beschluss festgestellt ist und ihm daher eine jedenfalls vermeintliche vorläufige Verbindlichkeit innewohnt. Insofern ist die Beschlussfeststellung – neben der Rechtsform – entscheidendes Kriterium zur Weichenstellung für das neue Beschlussmängelrecht.

1. Beschlussfeststellung (weiterhin) ungeregelt
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Das MoPeG sieht – entgegen wiederholten Forderungen im Gesetzgebungsverfahren – keine Regelungen zur Beschlussfeststellung vor. Der Gesetzgeber war der Auffassung, dass sich die Modalitäten der Beschlussfeststellung einer abstrakt-generellen Regelung entziehen. Eine dem § 130 Abs. 1, Abs. 2 AktG nachgebildete Regelung zur Beschlussfeststellung fehlt im Personengesellschaftsrecht – wie im GmbH-Recht – daher auch weiterhin. Im Übrigen regelt das MoPeG das Beschlussverfahren insgesamt nur rudimentär.

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Das bedeutet jedoch nicht, dass...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.01.2024 10:22
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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