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Sonderrechte in der GmbH: Dogmatik und Praxisfragen (Bayer, GmbHR 2024, 337)

Sonderrechte haben in der GmbH-Praxis eine große Bedeutung. Der Beitrag nimmt die wichtigsten Sonderrechte näher in den Blick und erörtert zugleich zentrale dogmatische Fragen.

I. Einführung
II. Begriff des Sonderrechts
III. Dogmatik

1. Systematik
2. Treuebindung
3. Begründung von Sonderrechten
a) Gesellschafter als Rechtsinhaber
b) Begründung in der Satzung
aa) Gründungssatzung
bb) Satzungsänderung
c) Rechtsfolgen bei fehlender Zustimmung
d) Grenzen
4. Erlöschen des Sonderrechts
a) Verlust der Gesellschafterstellung
b) Aufhebung/Entziehung des Sonderrechts
c) Weitere Erlöschensgründe
5. Beeinträchtigung von Sonderrechten
IV. Beispiele aus Rechtsprechung und Kautelarpraxis
1. Geschäftsführungs-Sonderrechte
a) Überblick
b) Wichtige Fallgruppen
aa) Gesellschafter als Geschäftsführer
bb) Dritter als Geschäftsführer
cc) Bestimmung eines Nachfolgers
2. Aufsichtsrat
3. Gewinn-Sonderrechte
4. Sonderstimmrechte und Zustimmungsvorbehalte
a) Mehrstimmrechte
b) Zustimmungsvorbehalte
c) Vetorechte
d) Stichentscheid
5. Vinkulierungs- und Vorerwerbs-Sonderrechte
a) Vinkulierungs-Sonderrechte
b) Vorerwerbs-Sonderrechte
V. Abgrenzungen und alternative Gestaltungsmöglichkeiten
1. Mitgliedschaft und Mitgliedschaftsrechte
2. Satzungsmäßige Anforderungen an die Beschlussfassung
3. Gläubigerrechte des Gesellschafters gegen die GmbH
4. Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen
5. Sondervorteile


I. Einführung
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Sonderrechte haben im Recht der GmbH aufgrund der in dieser Rechtsform bestehenden weitreichenden Satzungsautonomie seit langem große praktische Bedeutung. Dies gilt nicht nur, aber insbesondere in Familiengesellschaften. Sonderrechte können hier geradezu eine atypische Gesellschaftsorganisation herbeiführen.

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Über den Begriff des Sonderrechts herrscht indes teilweise Unklarheit, und auch zahlreiche Abgrenzungen werden gelegentlich nicht trennscharf vorgenommen. Dieser Beitrag soll die Dogmatik der Sonderrechte näher beleuchten und Missverständnisse ausräumen. Zugleich werden für die Praxis wichtige Einzelfragen in den Blick genommen.

II. Begriff des Sonderrechts
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Die maßgebliche Vorschrift über Sonderrechte findet sich im Vereinsrecht. § 35 BGB lautet: „Sonderrechte eines Mitglieds können nicht ohne dessen Zustimmung durch Beschluss der Mitgliederversammlung beeinträchtigt werden.“ Diese für den Verein getroffene und gem. § 40 BGB zwingende Regelung ist als allgemeiner Grundsatz anerkannt, der rechtsformübergreifend auch für die GmbH gilt.

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Eine Definition des Begriffs des „Sonderrechts“ hat der Gesetzgeber bewusst unterlassen. Hintergrund dieser gesetzgeberischen Zurückhaltung war ein im 19. Jahrhundert heftig geführter theoretischer Streit, den die Verfasser des BGB bewusst nicht entscheiden wollten. Dieser Streit wurde auch im 20. Jahrhundert fortgeführt und hat auch das GmbH-Recht nicht verschont.

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In § 35 BGB kommt indes zum Ausdruck, dass – bezogen auf die GmbH – (1) Sonderrechte nur Gesellschaftern zustehen können und dass (2) wirksam begründete Sonderrechte nicht durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung „beeinträchtigt“ werden können, (3) es sei denn, der Sonderrechtsinhaber hat zugestimmt. Daraus wird heute ganz überwiegend gefolgert, dass Sonderrechte i.S.v. § 35 BGB in der Satzung begründete Mitgliedschaftsrechte sind, die einem einzelnen Gesellschafter (oder einzelnen Gesellschaftern oder einer abstrakt formulierten Gesellschafter-Gruppe) besondere Vorrechte gewähren. Ein Sonderrecht ist mithin eine statutarische Berechtigung, die den Sonderrechtsinhaber unter Durchbrechung des allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung gegenüber anderen Gesellschaftern bevorzugt.

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Ein Sonderrecht i.S.v. § 35 BGB ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn es grundsätzlich unentziehbar ist. Dies bedeutet, dass eine Aufhebung oder Einschränkung des Sonderrechts nur mit Zustimmung des Sonderrechtsinhabers möglich ist. Sonderrechte können allerdings auch befristet oder aufschiebend oder auflösend bedingt gewährt werden. Solche Regelungen kommen etwa in Betracht, wenn das Sonderrecht an eine bestimmte satzungsmäßige Eigenschaft anknüpft.

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Sonderrechte können auch mit geminderten Rechten verbunden sein (beispielsweise ein erhöhter Gewinnbezug mit einem verminderten Stimmrecht nach dem Vorbild von § 139 AktG). Sie können aber auch mit Nebenleistungspflichten zu einer Einheit verbunden werden (sog. Pflichtrecht). So kann beispielsweise das Recht zur Geschäftsführung mit einer entsprechenden Pflicht gekoppelt werden oder eine Lieferpflicht des Gesellschafters mit korrespondieren Abnahme durch die GmbH.

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Ob im Einzelfall ein Sonderrecht begründet wurde, ist durch Auslegung der Satzung zu ermitteln. Zu ermitteln ist dabei im ersten Schritt, ob durch die Aufnahme in die Satzung für den betroffenen Gesellschafter ein mitgliedschaftliches Recht begründet wurde, im zweiten Schritt, ob es sich um ein Vorzugsrecht handelt, und im dritten Schritt, ob das gewährte Vorzugsrecht ein grundsätzlich unentziehbares Recht i.S.v. § 35 BGB ist. Stets erfolgt diese Auslegung objektiv; die Satzung ist mithin „aus sich heraus“ auszulegen; eine Ausnahme gilt dann, wenn noch kein Gesellschafterwechsel stattgefunden hat und über die Auslegung der Satzung unter den Gründungsgesellschaftern gestritten wird.

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Entscheidend für die wertende Betrachtung sind Wortlaut und Gesamtzusammenhang; ein unentziehbares Sonderrecht wird regelmäßig nur dann anzunehmen sein, wenn der Begünstigte daran ein besonderes schutzwürdiges Interesse hat und die übrigen Gesellschafter ihm entweder...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.03.2024 16:45
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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