Aktuell in der GmbHR

Das Beschlussmängelrecht in der GmbH nach dem MoPeG (Guntermann, GmbHR 2024, 397)

Der Umgang mit fehlerhaften Beschlüssen der Gesellschafterversammlung ist im GmbHG nicht geregelt. Die Regelungslücke wird nach herkömmlichem Verständnis durch die §§ 241 ff. AktG geschlossen. Durch das MoPeG wird nun jedoch die Frage aufgeworfen, ob der Interessenlage in der typischerweise personalistisch strukturierten GmbH nicht eher durch das neue Anfechtungsmodell für die Personenhandelsgesellschaften (§§ 110 ff. HGB) gedient ist.

I. Einführung
II. Lückenfüllung im GmbH-Recht

1. Lückenfüllung zwischen kapitalistischer Ideal- und personalistischer Realstruktur
2. Interessenlage betreffend fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse
III. Beschlussmängelrecht in der GmbH – Status Quo
IV. Veränderung durch das MoPeG?
1. Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaft (§§ 110 ff. HGB)
a) Anfechtbarkeit von Beschlüssen
b) Nichtigkeit von Beschlüssen
c) Gerichtliche Geltendmachung
2. „Ausstrahlung“ auf das GmbH-Recht?
a) Bedarfsweise Heranziehung beider Regelungsregime
b) Anfechtungsmodell als verbandsübergreifendes Rechtsinstitut
aa) Ungeschriebenes Anfechtungsklagerecht als verbandsübergreifende Grundlage
bb) Verbandsübergreifende Anforderungen des Anfechtungsmodells
3. Beschlussmängelrecht der GmbH nach Inkrafttreten des MoPeG
a) Anfechtbarkeit vs. Nichtigkeit
b) Geltendmachung der Anfechtbarkeit
aa) Anfechtungsbefugnis
bb) Anfechtungsfrist
(1) Länge der Frist
(2) Fristbeginn
(3) Hemmung der Anfechtungsfrist
V. Reform des GmbH-Rechts?
VI. Fazit


I. Einführung

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Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden in der Kapitalgesellschaft grundsätzlich mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst; sie binden auch die Minderheit, die sich gegen den Beschluss ausgesprochen hat. Dies lässt sich in der Theorie u.a. dadurch rechtfertigen, dass dem Mehrheitswillen eine gewisse „Richtigkeitsgewähr“ innewohnt. Vergleicht man die Mehrheitsentscheidung mit der Entscheidung durch Einzelne oder Wenige, weist sie eine höhere Wahrscheinlichkeit für „richtige“ Ergebnisse auf, weil sich individuelle Einschätzungsfehler in der Summe ausgleichen. Diese ausgleichende Funktion des Mehrheitsprinzips verliert jedoch an Überzeugungskraft, wenn Einzelne einen überproportionalen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben. Das Ergebnis der Beschlussfassung ist dann nicht mehr das Produkt einer freien Mehrheitsbildung, sondern es entspricht dem Willen des Einzelnen. Als Ausgleich ist unabhängig von den konkreten Mehrheitsverhältnissen ein Schutz der Minderheit erforderlich – einerseits durch bei der Beschlussfassung zu wahrende Regeln, die der Minderheit Gelegenheit geben, ihren abweichenden Standpunkt darzulegen und dadurch auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen, andererseits durch ein – im Wege der Beschlussmängelklage durchsetzbares – Recht, dass diese und weitere gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Regeln gewahrt werden.

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Diese Grundsätze sind seit jeher auch im GmbH-Recht anerkannt, obgleich sich das GmbHG jeder Regelung zu fehlerhaften Gesellschafterbeschlüssen enthält. Die Regelungslücke wird herkömmlich durch das Anfechtungsmodell des Aktienrechts (§§ 241 ff. AktG) geschlossen. Das am 1.1.2024 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) lässt jedoch Zweifel aufkommen, inwieweit daran weiter festzuhalten ist. Das MoPeG hat erstmals ein Anfechtungsmodell auch für die Personenhandelsgesellschaften eingeführt (§§ 110 ff. HGB), das sich im Detail von den §§ 241 ff. AktG unterscheidet und nach der Gesetzesbegründung zum MoPeG „auf das [...] Beschlussmängelrecht der GmbH ausstrahlen wird“. Ob eine solche „Ausstrahlungswirkung“ zu rechtfertigen ist und welche Änderungen sich konkret ergeben, wurde bereits vereinzelt untersucht, ein klares Meinungsbild hat sich jedoch – u.a. wegen einer ungewohnten Zurückhaltung vieler Standardkommentare – noch nicht herausgebildet. Da die Frage jedenfalls für sämtliche Klagen relevant ist, die ab dem 1.1.2024 erhoben worden sind bzw. werden, greift der folgende Beitrag die Diskussion auf und entwickelt auf der Basis der beiden gesetzlichen Anfechtungsmodelle eine interessengerechte Lösung. Anschließend zeigt er auf, inwieweit trotz dieser Lösung auch im GmbH-Recht ein Reformbedarf besteht.

II. Lückenfüllung im GmbH-Recht
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Dass das GmbHG Rechtsfragen ungeregelt lässt, betrifft nicht nur das Beschlussmängelrecht. Anders als das AktG ist das GmbH-Recht nicht auf eine lückenlose Kodifikation gerichtet, sondern im Interesse der Selbstbestimmung der Gesellschafter an vielen Stellen bewusst offen gestaltet. Die daraus resultierenden Regelungslücken können jedoch u.a. wegen der fehlenden Voraussicht vieler GmbH-Gründer oder einer nur eingeschränkten Verhandlungsposition der Minderheit nicht in jedem Fall durch gesellschaftsvertragliche Regelungen geschlossen werden. Daher steht der Anwender des GmbH-Rechts verschiedentlich vor der Aufgabe, Regelungslücken durch Rechtsvorschriften für andere Verbandsformen zu schließen.

1. Lückenfüllung zwischen kapitalistischer Ideal- und personalistischer Realstruktur
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Die Suche nach Vorschriften, die der Interessenlage in der GmbH gerecht werden, muss ihren Ausgangspunkt jeweils in dem gesetzlichen Leitbild der GmbH nehmen. Die GmbH wurde 1892 ohne historisches oder rechtsvergleichendes Vorbild „am grünen Tisch“ geschaffen, um dem Bedürfnis mittelgroßer geschlossener Gesellschafterkreise nach beschränkter Haftung Rechnung zu tragen, für die die Vorschriften des Aktienrechts zu streng erscheinen. Die neue Rechtsform sollte – wie die Gesetzesbegründung betonte – eine „Mittelstellung“ zwischen den Personengesellschaften auf der einen und der Aktiengesellschaft auf der anderen Seite einnehmen. Gleichwohl wies die schließlich in Kraft getretene und in weiten Teilen bis heute geltende Fassung des GmbHG sehr viel mehr Ähnlichkeit mit dem AktG auf, was sich insbesondere mit den Gefahren der Haftungsbeschränkung für die Gesellschaftsgläubiger rechtfertigen lässt. Ihre kapitalistische Idealstruktur veranlasste anfänglich sogar zur Wahrnehmung der GmbH als „kleine Aktiengesellschaft“. Vor diesem Hintergrund liegt es zunächst nahe, Regelungslücken im GmbH-Recht durch aktienrechtliche Regelungen zu schließen.

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In der Praxis hat die GmbH jedoch zunehmend personalistische Züge entwickelt, die sie kontinuierlich von der AG entfernten. Die weit überwiegende Mehrzahl der Gesellschaften mit beschränkter Haftung hat heute maximal zwei Gesellschafter, legt die Geschäftsführung in die Hände eines Gesellschafters und bindet die Übertragung von Geschäftsanteilen an die Zustimmung der Gesellschaft (§ 15 Abs. 5 GmbHG). Die GmbH wird mithin überwiegend wie eine Personengesellschaft gebraucht. Diese personalistische Realstruktur spiegelt sich heute in Teilen auch im GmbHG selbst wider: Es enthält Gründungserleichterungen für Gesellschaften mit höchstens drei Gesellschaftern und einem Geschäftsführer (§ 2 Abs. 1a GmbHG), billigt den Gesellschaftern ein umfassendes Einsichts- und Auskunftsrecht zu (§§ 51a, 51b GmbHG) und beinhaltet mit der UG (haftungsbeschränkt) eine Rechtsformvariante, die primär auf Gründer zielt, die sich andernfalls als Einzelkaufleute oder in der Rechtsform der Personengesellschaft betätigt hätten. Insgesamt erscheint eine Lückenfüllung durch personengesellschaftsrechtliche Grundsätze daher heute grundsätzlich interessengerechter, sofern nicht die kapitalistische Idealstruktur der GmbH eine Anleihe im Aktienrecht erforderlich macht.

2. Interessenlage betreffend fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse
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Auch der Ausgleich der Interessen im Umgang mit fehlerhaften Gesellschafterbeschlüssen verlangt nach einer Lösung zwischen diesen beiden Polen.

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Im Ausgangspunkt stimmt die Interessenlage mit derjenigen in der AG überein. Den Beschluss der Gesellschafterversammlung GmbHR 2024, 399als Rechtsgeschäft allein an den §§ 125, 134, 138 BGB zu messen, würde wie im Aktienrecht einerseits zu weit und andererseits nicht weit genug reichen. Anders als ein Vertrag ist der Mehrheitsbeschluss (§ 47 Abs. 1 GmbHG) eben nicht das Produkt privatautonomer Entscheidungen der Parteien, sondern ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.04.2024 16:52
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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