21 / 2017

Christoph Schubert, Köln

Hält die D&O-Versicherung, was sie verspricht?

Nach einer Entscheidung des OLG Celle vom 1.4.2016 – 8 W 20/16 (abzurufen unter „www.gmbhr.de/volltexte.htm”) ist das praktisch bedeutsamste Haftungsrisiko von den üblichen D&O-Versicherungen nicht gedeckt. Was auf den ersten Blick wie eine juristische Spitzfindigkeit aussieht, kann für Geschäftsführer und Vorstände existenzbedrohende Folgen haben. Denn inzwischen nehmen D&O-Versicherer die Entscheidung zum Anlass, um sich auf Leistungsfreiheit zu berufen. Es ist daher höchste Zeit, bestehende Versicherungsverträge zu prüfen und ggf. nachzubessern.

Viele Unternehmen schließen für ihre Geschäftsführer und Vorstände eine Directors-and-Officers-Versicherung (kurz: D&O-Versicherung) ab, um sie vor einer persönlichen Haftung zu schützen, falls ihnen bei der Geschäftsführung einmal ein Fehler unterlaufen sollte. Das größte Haftungsrisiko besteht dabei darin, dass ein Geschäftsleiter zu spät erkennt, dass seine Gesellschaft insolvenzreif ist und deshalb nicht rechtzeitig Insolvenzantrag stellt.

Dies kann auch einem sorgfältigen Geschäftsleiter leicht passieren, da die Feststellung der Insolvenzreife wirtschaftlich und rechtlich komplex ist und regelmäßig nicht ohne Experten bewältigt werden kann. Schon der weit verbreitete Irrglaube, man hätte drei Wochen Zeit für einen Insolvenzantrag, kann zu einer Haftung des Geschäftsleiters führen. Denn dieser hat der Gesellschaft sämtliche Zahlungen persönlich zu erstatten, die er nach Eintritt der Insolvenzreife zugelassen hat (§ 64 GmbHG, § 92 AktG).

Dabei ist es irrelevant, ob der Gesellschaft durch die Zahlungen tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Die Haftungsvorschrift soll nämlich die Gläubiger der Gesellschaft vor einer Verringerung der (zukünftigen) Insolvenzmasse schützen. Meistens entsteht der Gesellschaft durch die verbotenen Zahlungen nach Insolvenzreife auch gar kein Schaden, da mit den Zahlungen entweder Verbindlichkeiten getilgt oder Vermögensgegenstände angeschafft werden, so dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft nicht verschlechtert.

Der BGH bewertet die Haftung des Geschäftsleiters für verbotene Zahlungen deshalb auch nicht als Schadenersatzanspruch, sondern als einen „Ersatzanspruch eigener Art” (st. Rsp., vgl. BGH vom 8.1.2001 – II ZR 88/99, GmbHR 2001, 190 [194] m. Komm. Felleisen). Diese juristische Feinheit kann fatale Auswirkungen auf den Versicherungsschutz haben. Die üblichen D&O-Versicherungen gewähren nämlich Deckung für den Fall, dass der Geschäftsleiter wegen einer Pflichtverletzung bei seiner Tätigkeit auf Ersatz eines „Vermögensschadens” in Anspruch genommen wird (vgl. „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung”, Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Stand: Mai 2013). Nach Ansicht des BGH beruht die Haftung für verbotene Zahlungen aber nicht auf dem Eintritt eines Vermögensschadens.

Vor diesem Hintergrund hat das OLG Celle ohne nähere Begründung festgestellt, dass Zahlungen nach Insolvenzreife von einer D&O-Versicherung nicht gedeckt sein dürften. Damit bleibt der betroffene Geschäftsleiter auf seiner persönlichen Haftung sitzen, was schnell existenzbedrohend werden kann, da oft erhebliche Summen zusammenkommen. Außerdem muss er sich entlasten, da die Pflichtwidrigkeit der Zahlung und sein Verschulden gesetzlich vermutet werden, was in der Praxis oft nicht gelingt. Deshalb verfolgen Insolvenzverwalter diese Haftungsansprüche vorrangig, teilweise bis zur Privatinsolvenz des Geschäftsleiters.

Die Entscheidung des OLG Celle hat inzwischen D&O-Versicherer veranlasst, den Versicherungsschutz bei verbotenen Zahlungen nach Insolvenzreife abzulehnen. Es ist daher jedem Geschäftsleiter dringend zu empfehlen, seine Versicherung mit anwaltlicher Hilfe zu prüfen und bei Zweifeln mit dem Versicherer eine klarstellende Vereinbarung zu treffen.

Dafür gibt es auch gute rechtliche Gründe: Der BGH hat für die Kfz-Haftpflichtversicherung entschieden, dass auch „schadenersatzähnliche” Ansprüche gedeckt sind und dies im Kern mit einer Auslegung des Versicherungsvertrags begründet (BGH vom 28.9.2011 – IV ZR 294/10, NJW-RR 2012, 163 [164]). Nach ständiger Rechtsprechung sind Versicherungsverträge aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auszulegen und dabei auch seine Interessen zu berücksichtigen (BGH vom 20.12.2006 – IV ZR 325/05, NJW 2007, 1205 [1208]). Ein Geschäftsleiter wird kaum auf die Idee kommen, dass sein größtes Haftungsrisiko von der D&O-Versicherung wegen juristischer Feinheiten nicht gedeckt ist. Aus seiner Sicht kommt es nur darauf an, dass er wegen einer Pflichtverletzung bei seiner Geschäftsleitertätigkeit persönlich in Anspruch genommen wird, wogegen ihn die erkaufte D&O-Police schützen soll – die abstrakte rechtliche Einordnung des Haftungstatbestands spielt für ihn keine Rolle. Außerdem dient der Begriff des „Vermögensschadens” in D&O-Versicherungen eigentlich dazu, den Gegenstand der Versicherung von nicht versicherten Personen- und Sachschäden abzugrenzen und nicht dazu, die rechtlichen Feinheiten der Organhaftung nachzuvollziehen.

Trotzdem sollte die Deckungsfrage mit dem Versicherer vor Eintritt eines möglichen Haftungsfalls geklärt werden. Andernfalls ist Streit vorprogrammiert.

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Assoziierter Partner der Kanzlei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Köln.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 01.12.2017 11:05