16 / 2018

Dirk Linnemann

Novellierung des Genossenschaftsrechts

Nach der großen Genossenschaftsgesetz-Novelle 2006 (BGBl. I 2006, 1911 ff.; BGBl. I 2006, 2268 ff.) wurde das Genossenschaftsrecht zuletzt mit dem am 22.7.2017 in Kraft getretenen „Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften“ v. 17.7.2017 (BGBl. I 2017, 2434 ff.) novelliert.


I. Anlass und Ziele der Reform

Anlass für die Novelle 2017 war die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD vom 17.12.2013, die Gründung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement (z.B. Dorfläden, Kitas, altersgerechtes Wohnen, Energievorhaben, etc.) zu erleichtern. Dazu sollte eine geeignete Unternehmensform im Genossenschafts- oder Vereinsrecht zur Verfügung gestellt werden, die unangemessenen Aufwand und unnötige Bürokratie vermeidet. Obwohl die Genossenschaft für solche Unternehmen grundsätzlich sehr geeignet wäre, würde der Gründungsaufwand gegenüber anderen Rechtsformen oft als zu aufwändig und zu teuer angesehen (BR-Drucks. 162/17 v. 17.2.2017; BT-Drucks. 18/11506 v. 13.3.2017).

Bekanntlich entsteht eine Genossenschaft nach § 13 GenG erst durch Eintragung in das Genossenschaftsregister. Voraussetzung hierfür ist u.a. der Beitritt zu einem genossenschaftlichen Prüfungsverband, der – als weitere Gründungsvoraussetzung – auch die Gründungsprüfung durchzuführen hat. Im Rahmen der Gründungsprüfung hat der Verband sich dazu zu äußern, „ob nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere der Vermögenslage der Genossenschaft, eine Gefährdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist“ (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 GenG).

Kosten entstehen sowohl bei der Gründungsprüfung, als auch in Form jährlicher Mitgliedsbeiträge. Zudem müssen sich Genossenschaften nach den Bestimmungen der §§ 53 ff. GenG regelmäßigen Pflichtprüfungen unterziehen. Die genossenschaftliche Pflichtprüfung soll dem Schutz der Mitglieder und der Gläubiger dienen und stellt eine Kompensation für das bei Genossenschaften in der Regel nicht vorhandene Mindestkapital dar (BVerfG v. 19.1.2001 – 1 BvR 1759/91).

Zudem kann die Mitgliedschaft in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband nach Auffassung des Gesetzgebers den Genossenschaften aufgrund des Angebots einer umfassenden Betreuung und Beratung (Rechtsberatung, Steuerberatung und Unternehmensberatung) auch (zumeist kostenpflichtige) Vorteile bieten. Diese Vorteile kämen aber gar nicht zum Tragen, wenn allein aus Kostengründen die Rechtsform der Genossenschaft nicht gewählt würde (BR-Drucks. 162/17 v. 17.2.2017).

Vor diesem Hintergrund wollte der Gesetzgeber mit der Genossenschaftsgesetz-Novelle 2017 die Rechtsformen der Genossenschaft, insbesondere auch durch Prüfungserleichterungen für kleine Genossenschaften und Erleichterungen bei der Gründung attraktiver machen. Weiterer Anlass für die Genossenschaftsgesetz-Novelle 2017 war die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, den Genossenschaften die Möglichkeit der Finanzierung durch Mitgliederdarlehen zu eröffnen. Zudem ergab sich aus der Praxis und insbesondere aus den Reihen der Prüfungsverbände an einigen Stellen noch weiterer Änderungs- und Klarstellungsbedarf.


II. Änderungen und Ergänzungen

Besonders hervorzuheben sind folgende Änderungen und Ergänzungen des Genossenschaftsgesetzes:

  • Für zur Generalversammlung (GV) bzw. Vertreterversammlung (VV) durch unmittelbare Benachrichtigung wurde klargestellt, dass Textform (§ 126b BGB) notwendig und ausreichend ist (§ 6 Abs. 4 GenG).

  • Entsprechendes gilt für die der Tagesordnung einer VV an alle Mitgliedern durch unmittelbare Benachrichtigung (§ 46 Abs. 1 S. 3 GenG).

  • Als für Bekanntmachungen der Genossenschaft kann die Satzung nun auch öffentlich zugängliche, elektronische Informationsmedien (z.B. elektronischer Bundesanzeiger oder die eigene Internetseite) bestimmen (§ 6 Abs. 5 GenG). Steht ein in der Satzung bestimmtes Bekanntmachungsorgan nicht mehr zur Verfügung, müssen bis zu einer anderweitigen Regelung in der Satzung die Bekanntmachungen im (elektronischen) Bundesanzeiger erfolgen (§ 158 GenG). Entsprechendes gilt nach § 95 Abs. 3 GenG auch dann, wenn die Bestimmungen in der Satzung über die Form der Einberufung einer GV/VV mangelhaft sind. Gleichwohl ist es aber immer noch nicht möglich, von vornherein in der Satzung zu regeln, dass die Einberufung der GV/VV durch öffentliche Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger oder im Internet erfolgt (§ 6 Abs. 4 GenG).

  • Investierenden Mitglieder nach § 8 GenG kann das nun ganz entzogen werden.

  • Die der Gründungssatzung (§ 11 Abs. 2 GenG) durch alle Gründungsmitglieder ist nicht mehr erforderlich. Es reichen die Unterschriften von drei Mitgliedern. Im Gegenzug ist jetzt auch ein Beitritt zur Genossenschaft nach § 15 GenG bereits vor Anmeldung der Gründungssatzung zum Genossenschaftsregister möglich.

  • Die bei einem Beitritt zu einer Genossenschaft nach §§ 15, 15a GenG wurden dahingehend erleichtert, dass es jetzt ausreicht, wenn die Satzung im Internet unter der Adresse der Genossenschaft abrufbar ist und dem Antragsteller ein Ausdruck der Satzung angeboten wird. Bestimmt die Satzung weitere Zahlungspflichten (z.B. Eintrittsgelder, laufende Beiträge, etc.) oder eine Kündigungsfrist von mehr als einem Jahr, so muss dies nach § 15a S. 3 GenG in der Beitrittserklärung nun ausdrücklich erwähnt werden.

  • Mit dem neuen § 21b GenG sollen die der Genossenschaft durch Aufnahme von Mitgliederdarlehen verbessert werden.

  • Für Kleine Genossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern kann die Satzung nun ein der Generalversammlung – ähnlich dem Weisungsrecht bei der GmbH – vorsehen.

  • Hinsichtlich der Führung der (§ 30 GenG) wurden Erleichterungen geschaffen.

  • Die für den Vorstand (§ 34 Abs. 1 GenG) und damit auch für den Aufsichtsrat (§ 41 GenG) wurden an die Regelungen im Aktienrecht (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG, sog. Business Judgement Rule) angeglichen und ein Haftungsprivileg für ehrenamtliche Organmitglieder aufgenommen.

  • Der neue § 36 Abs. 5 GenG eröffnet in bestimmten Grenzen die Möglichkeit, einzelnen Mitglieder (als Sonderrecht) ein in den Aufsichtsrat einzuräumen.

  • Als Vertreter in die können zukünftig nicht nur gesetzliche Vertreter, sondern auch rechtsgeschäftliche Vertreter von juristischen Personen oder Personengesellschaften gewählt werden, wobei je Mitglied nur ein Vertreter gewählt werden kann (§ 43a Abs. 2 S. 2 GenG).

  • Die gewählten Vertreter können zukünftig statt ihrer Postanschrift auch ihre Telefonnummer oder ihre E-Mail-Adresse angeben. Zudem kann nach einer erfolgten Wahl statt der Auslegung der Vertreterliste in den Geschäftsräumen der Genossenschaft diese auch bis zum Ende der Amtszeit der Vertreter auf der Internetseite der Genossenschaft den Mitgliedern zugänglich gemacht werden (§ 43a Abs. 6 GenG).

  • Die der GV/VV ist zukünftig nur noch vom Vorsitzenden (= Versammlungsleiter) und mindestens einem in der Versammlung anwesenden Vorstandsmitglied zu unterschreiben (§ 47 Abs. 2 GenG).

  • § 48 Abs. 3 S. 1 GenG wurde dahingehend klarstellend ergänzt, dass – alternativ zur Auslegung des Jahresabschlusses, des Lageberichts sowie des Berichts des Aufsichtsrats in den Geschäftsräumen – die nun auch auf der Internetseite der Genossenschaft zugänglich gemacht werden können.

  • In § 65 Abs. 2 S. 3 GenG wurde die Möglichkeit einer von bis zu zehn Jahren zum Zweck der Sicherung der Finanzierung des Anlagevermögens von reinen Unternehmergenossenschaften auf Genossenschaften ausgedehnt, bei denen mehr als 3/4 der Mitglieder Unternehmer i.S.d. § 14 BGB sind. Die längere Kündigungsfrist gilt nur für diejenigen Mitglieder, die Unternehmer sind.


III. Änderung bei der gesetzlichen Pflichtprüfung

Zudem sieht die Genossenschaftsgesetz-Novelle 2017 zahlreiche Änderungen zur gesetzlichen Pflichtprüfung vor.

  • Die Führung der als expliziter Gegenstand der genossenschaftlichen Pflichtprüfung (vgl. § 53 Abs. 1 S. 1 GenG a.F.) wurde gestrichen.

  • Die des § 53 Abs. 2 S. 1 GenG wurden erhöht. Zukünftig ist der Jahresabschluss unter Einbeziehung der Buchführung und des Lageberichts zu prüfen, wenn die Bilanzsumme 1,5 Mio. € und die Umsatzerlöse 3 Mio. € übersteigen.

  • Für (§ 336 Abs. 2 S. 3 HGB i.V.m. § 267a HGB), wird unter bestimmten Voraussetzungen durch den neuen § 53a GenG für jede zweite Pflichtprüfung eine vereinfachte Prüfung (sog. In-House-Prüfung beim Verband) eingeführt.

  • Die Genossenschaft hat zukünftig den Namen und den Sitz des auf ihrer Internetseite oder in Ermangelung einer solchen auf den Geschäftsbriefen anzugeben (§ 54 S. 2 GenG). Ein Verstoß ist sanktioniert.

  • Wenn die Genossenschaft angehört, ist die Pflichtprüfung durch denjenigen Verband durchzuführen, bei dem die Genossenschaft die Mitgliedschaft zuerst erworben hat, es sei denn, die Beteiligten vereinbaren einvernehmlich etwas Anderes (§ 55 Abs. 4 GenG).

  • Nach dem neuen § 58 Abs. 1 S. 3 GenG hat der Verband im Prüfungsbericht nun auch über die Verfolgung eines zulässigen Stellung zu nehmen.


IV. Fazit

Gemessen an den vereinbarten Zielen im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD vom 17.12.2013 erscheint die GenG-Novelle 2017 kein großer Wurf sein, sondern allenfalls ein Anfang.

Der Gesetzgeber wollte mit der Genossenschaftsgesetz-Novelle 2017 die Rechtsformen der Genossenschaft, insbesondere auch durch Prüfungserleichterungen für kleine Genossenschaften und Erleichterungen bei der Gründung attraktiver machen. Ob ihm das wirklich gelungen ist, bleibt abzuwarten. Es steht zu befürchten, dass gerade für Kleinstgenossenschaften sich weder die Gründungskosten noch die regelmäßigen Prüfungskosten durch die Gesetzesänderungen signifikant reduzieren. Die finanzielle Hürde für die Rechtsformwahl der Genossenschaft bleibt vermutlich auch weiterhin bestehen (s. auch Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 18/13019 v. 28.6.2017).

Die Regelungen zur Verbesserung der Finanzierung der Genossenschaften im neuen § 21b GenG sind jedenfalls zu begrüßen. Die Darlehensaufnahme bei den Mitgliedern ist zwar an strenge Voraussetzungen und nur in einem eng umgrenzten Umfang möglich, deren Einhaltung im Rahmen der gesetzlichen Prüfung auch zu überwachen sind. Dies dient aber dem Schutz der Mitglieder und der Vermeidung eines unkontrollierten Entstehens dubioser Kapitalanlageprodukte in der Rechtsform der Genossenschaft außerhalb der Überwachungsmöglichkeiten der BaFin.

An vielen Stellen hat die Genossenschaftsgesetz-Novelle 2017 zudem zahlreiche sinnvolle Klarstellungen und Ergänzungen gebracht, die ebenfalls zu begrüßen sind. Besonders hervorzuheben sind hier:

  • die Klarstellung der bisher bestehenden Streitfrage, ob investierenden Mitgliedern durch die Satzung das Stimmrecht ganz entzogen werden kann;

  • die neuen Regelungen im Zusammenhang mit dem Beitritt zur Genossenschaft sowie deren Gründung;

  • die Harmonisierung der Haftungsregelungen für den Vorstand entsprechend den Regelungen im Aktienrecht;

  • sowie die Anpassungen an das elektronische Zeitalter.

Mit den im letzten Moment des Gesetzgebungsverfahrens noch geänderten Regelungen in § 54 S. 2 u. § 55 Abs. 4 GenG ist es den etablierten Verbänden gelungen, ihr Prüfungsrecht zu sichern und sich zumindest für eine Übergangszeit (Kündigungsfrist) vor einer möglichen Konkurrenzsituation mit anderen Prüfungsverbänden zu schützen. Diese Regelungen dienen vor allem dem Schutz der alteingesessenen Verbände und keinesfalls der Förderung des Wettbewerbs zwischen den Prüfungsverbänden. Ob dies zu begrüßen ist, ist eine Frage der Betrachtungsweise.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 14.08.2018 10:49